Gemeinderat unterbreitet Stadtrat einen Gegenvorschlag zur Wohn-Initiative

28. Mai 2024
Die Thuner Wohn-Initiative fordert, dass mindestens 15 Prozent der Wohnungen in Thun im Eigentum gemeinnütziger Wohnbauträgerschaften sind. Die Stossrichtung der Initiative entspricht der aktiven städtischen Wohnpolitik, die der Gemeinderat weiterführen will. Er unterbreitet dem Stadtrat einen Gegenvorschlag. Das Parlament befindet am 13. Juni 2024 darüber.

Am 15. Juni 2023 wurde die Gemeindeinitiative «Für bezahlbare Wohnungen (Thuner Wohn-Initiative)» eingereicht. Am 20. Dezember 2023 erklärte der Gemeinderat die Initiative für teilweise ungültig. Die Ungültigkeit bezog sich ausschliesslich auf die Frist für die Umsetzung der Forderung. Der für gültig erklärte Teil der Initiative fordert, dass sich mindestens 15 Prozent der Wohnungen in Thun im Eigentum von gemeinnützigen Wohnbauträgerschaften befinden, die dem Prinzip der Kostenmiete verpflichtet sind. Dazu solle die Stadt Thun den gemeinnützigen Wohnbauträger-schaften Grundstücke im Baurecht anbieten. Bei grösseren Arealentwicklungen sollen auch Grundbesitzende verpflichtet werden, zur Erreichung des Ziels beizutragen, so das Anliegen der Initiative, die auch den Erlass eines entsprechenden Reglements fordert.* Die Stossrichtung der Initiative deckt sich mit der aktiven städtischen Wohnpolitik, die der Gemeinderat in den kommenden Jahren weiterführt. «Wir wollen den gemeinnützigen Wohnungsbau fördern und ausbauen, um so in Thun ein ausgewogenes Wohnungsangebot für alle Bevölkerungsschichten langfristig und nachhaltig sicherzustellen», betont Stadtpräsident Raphael Lanz.

Faktoren, welche die Stadt nur teilweise beeinflussen kann

Im Rahmen der Wohnstrategie unternimmt die Stadt konkrete und wirkungsvolle Schritte und erzielte bereits Ergebnisse. Heute beträgt der Anteil gemeinnütziger Wohnungen gut 10 Prozent. Den von der Initiative geforderten relativen Zielwert von 15 Prozent erachtet der Gemeinderat jedoch als sehr hoch und aufgrund der bisherigen Hochrechnungen kaum bzw. nur mit einschneidenden Massnahmen zu erreichen. Denn die tatsächliche Entwicklung des gemeinnützigen Wohnungsanteils ist von mehreren Faktoren abhängig, welche die Stadt nur zum Teil beeinflussen kann:

  • Der Zuwachs an nicht-gemeinnützigen Wohnungen ist stark abhängig vom Wohnungsmarkt bzw. von der allgemeinen Wohnbauentwicklung. Eine starke Wohnbautätigkeit ist grundsätzlich aufgrund des tiefen Thuner Leerwohnungsbestands erwünscht. Allerdings erschwert sie gleichzeitig die Erreichung des von der Initiative geforderten relativen Ziels von 15 Prozent für den gemeinnützigen Wohnungsanteil.
  • Grössere gemeinnützige Wohnbauprojekte sind planerisch komplex. Eine Planung auf öffentlichem Grund setzt eine hohe Akzeptanz in der Bevölkerung voraus und benötigt daher viel Zeit.
  • Hohe Bodenpreise setzen einer aktiven Bodenpolitik der Stadt durch Landerwerb und Landabgabe im Baurecht Grenzen.
  • Die Baurechtsverträge mit Thuner Wohnbaugenossenschaften sind grösstenteils bis 2045 gültig und können nur in gegenseitigem Einverständnis vorzeitig aufgelöst oder erneuert werden. Damit ist die Wahrscheinlichkeit eher gering, bis 2045 auf den bereits überbauten Baurechtsgrundstücken Erneuerungsprojekte mit zusätzlichen Wohnungen zu realisieren.
  • Für die Erneuerung des heutigen gemeinnützigen Wohnungsbestandes gilt es, den richtigen Zeitpunkt zu wählen. Eine allzu starke Forcierung der Verdichtung des gemeinnützigen Wohnungsbestandes birgt die Gefahr, gute Bausubstanz zu vernichten, was weder nachhaltig noch wirtschaftlich wäre.

Gegenvorschlag: 1’000 Wohnungen mehr bis 2045

Der Gemeinderat unterbreitet dem Stadtrat einen Gegenvorschlag, der ein Reglement zur Förderung des gemeinnützigen und preisgünstigen Wohnungsbaus beinhaltet. Der Gegenvorschlag übernimmt die qualitativen Inhalte der Thuner Wohn-Initiative, ordnet sie aber konsequenter in die bereits bestehenden Strategien und Aufträge ein. Gleichzeitig schlägt der Gemeinderat anstelle eines relativen Werts eine absolute Zahl von 1’000 zusätzlichen gemeinnützigen Wohnungen vor. Die Wohnungen sollen bis 2045 gebaut oder mindestens in Planung sein. Dieser absolute und damit klar definierte Zielwert berücksichtigt die absehbaren gemeinnützigen Wohnbauprojekte und ist deshalb aller Voraussehbarkeit nach auch erreichbar. Der Gemeinderat lässt zudem Spielraum offen für weitere quantitative Zielsetzungen. Bei Bedarf finden diese Eingang in das zu erarbeitende Reglement zur Förderung des gemeinnützigen und preisgünstigen Wohnungsbaus.

Keine Volksabstimmung bei Annahme des Gegenvorschlags

Der Gemeinderat beantragt dem Stadtrat, den Gegenvorschlag anzunehmen und gleichzeitig die Initiative abzulehnen. Folgt das Parlament dem Antrag, wird der Gemeinderat beim Initiativkomitee den formellen Rückzug der Thuner Wohn-Initiative beantragen. Das Initiativkomitee hat bereits signalisiert, die Initiative bei einer Annahme des Gegenvorschlags zurückzuziehen. «Die Zielsetzung und Stossrichtung des Gegenvorschlags ist eine gute Grundlage, damit in Thun in den nächsten 20 Jahren mindestens 1’000 zusätzliche preisgünstige Wohnungen entstehen werden. Es ist zudem wichtig, dass ein breit abgestützter politischer Konsens besteht, den gemeinnützigen, bezahlbaren Wohnraum in der Stadt Thun zu fördern», hebt Adrian Christen, Mitglied des Initiativkomitees hervor.
 
Bei einem formellen Rückzug entfiele die Volksabstimmung, und die Umsetzung des Gegenvorschlags könnte direkt an die Hand genommen werden. Falls das Initiativkomitee die Initiative trotz Annahme des Gegenvorschlags aufrechterhielte, käme es zu einer Abstimmung beider Varianten (Initiative und Gegenvorschlag) mit Stichfrage.
 
Falls der Stadtrat sowohl den Gegenvorschlag als auch die Initiative ablehnt, kommt es zur Volksabstimmung über die Thuner Wohn-Initiative. Entscheidet sich der Stadtrat entgegen dem Antrag des Gemeinderats für die Annahme der Initiative, entfällt die Volksabstimmung und die Initiative wird umgesetzt.


Bestehende Instrumente/Massnahmen zur Förderung gemeinnützigen Wohnungsbaus

  • Legislaturziele (2023-2026)
  • Wohnstrategie 2030
  • Gemeinnützige Wohnbauprojekte in Planung:
    BWG Nünenen an der Pestalozzistrasse (27 zusätzliche gemeinnützige Wohnungen)
    Neue Freistatt (87 zusätzliche gemeinnützige Wohnungen)
    WBG Stern am Dahlienweg (15 zusätzliche gemeinnützige Wohnungen)
  • Entwicklung der Areale Bläuerstrasse (Bostudenzelg) und Siegenthalergut
  • Wohnbau-Charta (definiert Grundsätze der Zusammenarbeit von Stadt und Wohnbaugenossenschaften)
  • Muster-Baurechtsvertrag-    
  • Anlaufstelle gemeinnütziger Wohnungsbau (AGW)
  • Artikel zur Förderung von gemeinnützigem und preisgünstigem Wohnungsbau im neuen Baureglement (Ortsplanungsrevision)

* Wortlaut der Initiative vgl. Beilage

Thun von oben
Foto: Christoph Gerber
Name
Dokument: Stadtratsbericht Nr. 9/2024 Gemeindeinitiative «Für bezahlbare Wohnungen (Thuner Wohn-Initiative)» Download 0 Dokument: Stadtratsbericht Nr. 9/2024 Gemeindeinitiative «Für bezahlbare Wohnungen (Thuner Wohn-Initiative)»
Auf Social Media teilen